Neun Stimmen für Weihnachten

 

Das Licht der Laternen schimmert nur diffus, kommt nicht an gegen das dichte Schneegestöber. Die Landschaft ist im Dunkel der Nacht verschwunden. Hintereinander gehen sie langsam den schmalen Weg entlang. Die Laterne in der einen Hand, den langen Hirtenstab in der anderen. Bei jedem ihrer Schritte knirscht der frisch gefallene Schnee. Der Weg, den die Kufsteiner Anklöpfler zu gehen haben, ist nicht weit, aber er kommt ihnen vor, wie ein Pfad in die Vergangenheit. Nur langsam werden die Umrisse des alten Bauernhauses vor ihnen sichtbar. Maria Parths Mund umspielt bei dem Gedanken an diesen einen Abend ein verklärtes Lächeln. Es war ein ganz besinnlicher Moment damals auf dem Weg zum Bauernhaus ihrer Tante. Wie in einem Märchen war es. Ein Märchen, das durch ein tragisches Ereignis vor fünf Jahren fast nicht zustande gekommen wäre.

 

Neun Stühle für Montag

 

Maria sitzt zusammen mit ihren Freundinnen Maria Ellinger und Erika Kreidl an dem großen ovalen Tisch, der das Zentrum ihrer Wohnung bildet. Die drei sitzen nebeneinander. Die sechs restlichen Stühle im Biedermeierstil sind leer, kein Wunder, es ist Donnerstag. Erst am Montag werden sie wieder alle besetzt sein, wenn alle Kufsteiner Anklöpfler sich zur Probe einfinden. Jede der vier Frauen und jeder der fünf Männer hat seinen angestammten Sitzplatz. Wenn man so will eine kleine Tradition. Genauso wie sie traditionell Anfang Oktober mit ihren Proben starten, auch, wenn es nicht immer einfach ist.  

 

Weihnachten im Oktober

Während andere noch den Sommer ausklingen lassen und mit den sich färbenden Blättern langsam in Herbststimmung kommen, stehen die Kufsteiner Anklöpfler bei ihren Proben vor der Herausforderung, sich in Weihnachtsstimmung zu versetzten. Denn ohne das richtige Flair geht gar nichts. Ihre Musik lebt von der richtigen Atmosphäre und die richtige Atmosphäre beeinflusst ihre Musik. Mit Kerzen versucht Maria bereits im Oktober, den Adventzauber in ihre Wohnung zu holen. Wobei bei den ersten Treffen sind die Kufsteiner Anklöpfler mehr beim Reden als beim Singen. Immerhin haben sich die neun Sänger in dieser Konstellation das letzte Mal im Jänner gesehen. Alle Neun sind beste Freunde, zum Teil miteinander verwandt, aber alle zusammen treffen sie sich nur, wenn es um das Anklöpfeln geht. Und so versteht es sich von selbst, dass zuerst einmal Neuigkeiten ausgetauscht werden.

 

Neun Stimmen

 

Die Neun verbindet die Liebe zum Singen. Ansonsten sind sie eine recht bunt gemischte Truppe. Ferdinand Ellinger ist mit 32 Jahren der Jüngste. Der Marketingexperte Thomas Oberhuber sorgt mit Ernst Eisenmann für die tiefen Töne. Hans Pradl und Markus Rieder sind die beiden Tenöre, wobei Markus mit seiner Okarina, einer Kugelflöte, zudem Abwechslung in die Lieder der Anklöpfler bringt. Neben Maria Parth gehören ihre Nichte Manuela Pfluger, Maria Ellinger und Erika Kreidl zum weiblichen Teil der Kufsteiner Anklöpfler. Seit 2012 sind sie ein eingeschworenes Team. „Unsere Freundschaft ist jedem von uns wertvoll.“ Ein Schatz, den sie hüten, vor allem, seit sie miterleben mussten, wie schnell alles vorbei sein kann. Denn begonnen hat die Geschichte der Kufsteiner Anklöpfler nicht erst vor vier Jahren.

 

Das Ende vom Anfang

 

„Ich würde zu gerne einmal Anklöpfeln gehen.“ Mit diesem Satz wurde 2006 die eigentliche Geburtsstunde der Kufsteiner Anklöpfler eingeleitet. Es war Gerhard Scherbichler, durch und durch ein Musikant, der irgendwann einmal gegenüber den beiden Marias und Erika diesen Herzenswunsch äußerte. „Und er hat es mit so einer Leidenschaft gesagt, dass er uns augenblicklich angesteckt hat“, erzählt Maria Ellinger mit einem nachdenklichen Blick. Erika nippt gedankenverloren an ihrem Glas. Gemeinsam mit Gerhard suchen sie damals weitere Stimmen und ziehen noch im selben Jahr zu Acht von Haus zu Haus. Die Adventzeit bekommt einen ganz eigenen Stellenwert bei ihnen. Zu spüren, welche Freude sie mit ihrem Gesang verbreiten, lässt sie auch in den kommenden Jahren als Kufsteiner Anklöpfler losziehen. Drei Jahre lang sind sie ein eingeschworenes Team, bis 2009 alles anders wird. Gerhard Scherbichler erkrankt. Für die Freunde eine traurige Zeit. An Anklöpfeln denkt in diesem Jahr niemand, doch es sollte noch schlimmer kommen. Ein Jahr später stirbt der Initiator der Kufsteiner Anklöpfler. Und nach seinem Tod ist für alle klar, dass ein Anklöpfeln ohne ihn einfach nicht möglich ist. Und so sterben mit Gerhard Scherbichler auch die Kufsteiner Anklöpfler.  

 

Der Schatz in der Stille

 

Als sie durch die Türe des Bauernhauses von Marias Tante treten, empfängt sie wohlige Wärme. Durch die Fenster sind die tanzenden Schneeflocken zu sehen. In die Stille des Raumes hinein erklingen ihre Stimmen, während Marias Tante Tränen der Rührung in den Augen hat. Es sind die Erinnerungen an solche Momente, die die Sänger nicht loslassen, nachdem sie mit dem Anklöpfeln aufgehört haben. „Wenn du siehst, wie die Leute unser Singen berührt, das ist niemanden von uns egal. Diese Emotionen sind für uns direkt spürbar. Und wenn du dort im Zimmer stehst, es still wird und wir zu singen anfangen, wenn du dich selbst hörst, in dieser Ruhe, dann wird dir so richtig bewusst, was für ein Schatz das letztlich ist, dass du Singen kannst. Es ist eine Gabe, die uns viele schöne Momente beschert“, versucht Maria Ellinger die Faszination Anklöpfeln zu erklären. Und dass es diesen Schatz zu bewahren gilt, darin sind sich alle einige. Die drei Frauen sind es schließlich, die dem Ruf ihres Herzens nachgeben und die Kufsteiner Anklöpfler wieder ins Leben rufen. Inzwischen zu neunt beginnen sie, wieder zu proben und erneut als Anklöpfler von Haus zu Haus zu ziehen, wobei sie immer für Überraschungen gut sind.

 

Der weiße Bart und die Schuhe

Maria hat inzwischen alte Fotos auf dem Tisch ausgebreitet. Ihr Bart sticht auf den Bildern heraus. Und das nicht nur, weil er der einzig Weiße ist. Sie lacht, als sie erzählt, dass ihr Bart nichts anderes als der Pelzkragen von der alten Jacke ihrer Mutter ist. „Nicht perfekt, aber er gehört für mich einfach dazu.“ So wie all die anderen alten Jacken und Hosen, in die sie schlüpfen, um sich in die Kufsteiner Anklöpfler zu verwandeln. Erika wird auch heuer ihre alten Schuhe tragen, um die sie beneidet, aber für die sie auch bedauert wird. An die achtzig Jahre sind sie inzwischen alt. Erbstücke ihres Großvaters. „Starr und steif sind die Schuhe, aber ohne sie geht es nicht.“ Und so gekleidet ziehen sie dann wieder los, besonders gerne in alte Bauernhäuser.

 

 

Wenn die Zeit stehenbleibt

 

„Vor allem diese alten Bauernhäuser verströmen ein ganz eigenes Flair mit ihren Gewölben in den Küchen. Dort ist es immer besonders heimelig. Wir werden meist in Privathäuser eingeladen. Viele haben einen Adventabend mit Freunden organisiert und wir sorgen dann für zusätzliche Weihnachtsstimmung.“ Immer wieder überraschen sie aber auch Menschen, von denen sie wissen, dass ihnen Musik am Herzen liegt und die allein oder krank sind. „Das sind für uns die berührendsten Auftritte.“ Doch nicht nur in den Häusern, erleben sie ganz intensiv was ihr Gesang bewirkt. Auch als sie damals spontan auf dem Weg von einer Station zur nächsten am Unteren Stadtplatz halt machen und ihre Lieder anstimmen, entsteht wie von Zauberhand dieses ganz eigene Flair. Innerhalb kürzester Zeit bildet sich eine Menschentraube um die Kufsteiner Anklöpfler. Wo bis vor kurzem noch geschäftiges Treiben und die allgegenwärtige Hektik des Einkaufstrubels herrschte, legt sich mit den ersten Tönen eine besinnliche, ruhige Atmosphäre über den Unteren Stadtplatz.  

 

Alle Jahre wieder

 

Nach dem letzten Auftritt kehrt alle Jahre wieder Wehmut ein. Wie jedes Jahr werden sie sich auch heuer wieder zusammen setzen und gemeinsam etwas trinken. „Jeder ist irgendwie traurig, wenn die Anklöpflerzeit wieder vorbei ist“, sind sich die drei Damen einig. Daran will momentan aber noch keiner der Anklöpfler denken. Mit jeder Probe steigt nämlich die Vorfreude. Und spätestens, wenn sie zum ersten Mal in ihre Hirtengewänder schlüpfen, tauchen sie wieder ein in ihre Welt. „Wir sind uns sicher, es ist ganz im Sinne von Gerhard, dass wir wieder mit dem Anklöpfeln begonnen haben.“

 

Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY

Text: Adriane Gamper

erschienen in: kufsteinerin - das Magazin

 

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Moderatorin Adriane Gamper, Foto VANMEY PHOTOGRAPHIE
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHIE

 

 

 

 

 


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