Alm Geflüster

 

Die Sennerin vom Thierseetal

 

 

Bedächtig krault Marlies Hirschi über den Kopf. Hirschi gefällt es sichtlich, vorsichtig lehnt sie sich gegen die Sennerin. Marlies lacht und gibt ihr einen Schubs. „Ja ich verwöhne sie schon etwas, aber sie ist einfach meine Lieblingskuh.“ Hirschi ist sozusagen ihre Verbündete. Gemeinsam haben die zwei ihr Almleben vor drei Jahren hier auf der Alm im Thierseetal begonnen.

 

Dienstag und drei Äpfel

Ein Marmeladenglas mit einem kleinen Strauß Wiesenblumen ziert den Tisch in dem Küchen-Wohnraum der Alm. Auf der blau-weiß getupften Bank dahinter ist ihr Lieblingsplatz. Dort hält Marlies gegen zehn Uhr nach der morgendlichen Stallarbeit ihr Vormittagsschläfchen. „Wenn du um vier, halb fünf aufstehst, dann brauchst du auch einmal eine Pause“, sagt Marlies bevor sie hinter einer Holztür verschwindet. „Mein Vorratsraum.“ Steinwände sorgen in dem kleinen Raum den ganzen Sommer über für angenehme Kühle. „Der Kühlschrank hier herinnen ist eigentlich fast überflüssig“, meint Marlies lachend während sie den Inhalt des Obstkorbes durchschaut. Ein Zwiebel, drei Äpfel, vier Bananen. Heute ist Dienstag. Nachschub kommt erst am Wochenende, wenn ihr Mann zu ihr auf die Alm fährt. Vor allem die morgendliche Banane ist wichtig, die braucht sie schon wegen Brunelli.

 

Tausche Bürostuhl gegen Kuhmist

Als Gastgewerbekind aufgewachsen, arbeitet Marlies jahrelang in einem Büro. Als sie merkt, dass ihr körperliche Arbeit fehlt, kehrt sie zurück ins Gastgewerbe, beginnt zu kellnern. „Das war zwar toll, aber auch nicht richtig meines.“ Ihr Mann bringt schließlich die Alm ins Spiel, weil er weiß, dass sie das immer schon wollte. „Aber mit Mitte dreißig? Ich habe mich gefragt, ob ich mir das noch antun soll.“ Bis das Schicksal ihr einen Schubs gibt. Eine befreundete Bäuerin erzählt ihr, dass sie für den Sommer keinen Senner hat. Marlies sagt lapidar: „Das mache ich.“ Und die Bäuerin antwortet nur: „Passt“. „Ich hatte ja keine Ahnung, was auf mich zukommt.“

 

 

 

 

„Wenn du mit dem Traktor in

den Sonnenaufgang fährst,

dann weißt du,

dass du alles richtig machst.“

Blauäugige Bergidylle

Das Tischset mit der Grauviehkuh ist der stylische Blickfang auf der zum Terrassentisch umfunktionierten Holzpalette. Nebenan steht ein Liegestuhl. In diesem Jahr liegt sie immer wieder einmal dort, gesteht Marlies mit einem Augenzwinkern. Heuer, in ihrem dritten Jahr, ist vieles relaxter. Sie hat sich eingelebt. „Ich bin schon sehr blauäugig in die Sache reingelaufen, aber letztlich geht es da glaube ich jedem gleich. Von außen wirkt alles immer so harmonisch, schon allein diese Bergidylle. Aber in dieses Leben musst du dich erst hineinfinden.“ Sie will alles richtig machen, ist übergenau. Schaut ständig nach den Kühen. Nach sechs Wochen hat sie zwölf Kilo abgenommen. „Mir war nur noch wichtig, dass ich morgens richtig frühstücke, denn ich habe nicht gewusst, was untertags auf mich zukommt.“

 

 

Minderwertig

„Das war heute früh.“ Glühend rot färbt die aufgehende Sonne das Kaisergebirge auf dem Handyfoto. „Wenn du mit dem Traktor in den Sonnenaufgang fährst, dann weißt du, dass du alles richtig machst.“ Zum Zeitpunkt des Sonnenaufgangs hat Marlies bereits die Kühe des oberen Stalls gemolken. Bis um sieben Uhr früh muss sie fertig, die Milch in der Käserei etwas unterhalb ihrer Alm abgeliefert sein. „Es ist harte, körperliche Arbeit, aber das ist es, was ich brauche. Und diese Stille.“ Allein fühlt sie sich nie. Vielmehr genießt sie die ganz eigene Lebensqualität. „Du spürst dich selbst viel mehr.“ Missen möchte sie ihre vier Almmonate nicht mehr, obwohl so mancher verständnislos auf ihren Beruf reagiert. „Manche sagen schon, dass das keine richtige Arbeit ist. Der Beruf des Senners hat einen minderwertigen Touch. Ich glaube, die Leute wissen gar nicht, was ein Bauer oder Senner leistet. Von der Milch bis hin zur Landschaftspflege. Wandern gehen alle gerne oder machen Werbung mit unserer Kultur und der Landschaft. Doch den Beruf, der all das ermöglicht, finden sie minderwertig, aber das muss jeder selbst wissen.“

 

Und dann war da die Banane

Mit einer Banane in der Hand steigt Marlies über den Zaun. Während alle anderen Kühe genüsslich weiter im Gras liegen, steht die Hellste auf, dreht ihren Kopf. „Ja, die ist für dich“, lacht Marlies. Gierig streckt Brunelli ihre Zunge heraus. „Ich weiß nicht, ob es andere Kühe gibt, die so verrückt nach Bananen sind.“ Begonnen hat alles mit einem eher scherzhaft gemeinten Satz. „Ich wollte damals nur schnell zum zweiten Stall hinunter und bin mit der Banane in der Hand an Brunelli vorbei. Da hat sie probiert, mit der Zunge danach zu greifen.“ Scherzhalber sagte Marlies zu der Kuh, „da nimm halt“. Und weg war die Banane. Seither teilen sich die zwei jeden Morgen eine Banane. Echte Kuhliebe. Almleben.

 

 

 

„Hier heroben hast du eine ganz andere Lebensqualität.

Du spürst dich selbst viel mehr.“ 

 

 

Hallo Badewanne 

Es ist vier Uhr Nachmittags. Stallarbeit die zweite. Marlies bindet sich die Haare zurück. Ein Pfiff. Durch die offene Stalltür fallen die Sonnenstrahlen, werfen einen Lichtkegel in den dämmrigen Raum. Bis es plötzlich dunkel wird. Zwei Hörner gefolgt von einem massigen Körper. Eine nach der anderen kommen die Kühe herein, stellen sich auf ihren Platz. Ins Tal zieht es Marlies in ihren vier Almmonaten nur, wenn es sehr kalt ist. „Dann fahre ich kurz hinunter und lege mich in die Badewanne“, kommt es schelmisch. Erst Ende September wird sie wieder fix nach Thiersee kommen. „Ich sage niemanden, wenn ich wieder da bin. Die ersten Tage gehören nur mir. Schlafen, kochen, nichts tun.“

 

 

Blöde Kuh

Marlies ist zwischen den massigen Körpern der zwölf Kühe nicht auszumachen. Nur ein Blick auf den Boden und ihre schwarzen Gummistiefel verraten, wo sie gerade steht. „Jede Kuh hat ihren eigenen Charakter. Du kannst im Stall nicht jede neben die andere stellen. Das ist ein großer Weiberhaufen, wie in einem Großraumbüro mit lauter Frauen. Aber sie sind intelligent.“ Als hätten sie eine Uhr eingebaut kommen sie immer rechtzeitig zum Stall. Wissen, welche Wege sie gehen müssen. „Wenn jemand sagt, ´du blöde Kuh´ ist das eigentlich eine Beleidigung für die Kühe.“ Marlies Kopf taucht neben Hirschi auf. Ein Klaps auf den Hintern gefolgt von einem leisen „Muh“. Marlies wird noch einige Zeit im Stall sein. Dann geht es in ihre Hütte. Etwas lesen oder auf einen Ratscher noch irgendwo vorbeischauen. Morgen soll es schön sein. Der nächste Sonnenaufgang über dem Kaiser. Und natürlich wartet auch Brunelli, noch sind drei Bananen da.

    Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY

Text: Adriane Gamper

erschienen in: kufsteinerin - das Magazin 

 


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Moderatorin Adriane Gamper, Foto VANMEY PHOTOGRAPHIE
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHIE

 

 

 

 

 



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Kommentare: 2
  • #1

    Michael (Samstag, 01 Oktober 2016 23:08)

    Sehr sehr schöner Text! Danke!

  • #2

    Adriane (Sonntag, 02 Oktober 2016 16:58)

    Danke dir Michael.
    Freut mich, dass dir der Text gefällt!