Der Kampf ums richtige Wort

 

Den richtigen Riecher für die Waffe, das Wort 

 


Ihre blonden Locken hüpfen aufgeregt. Von hinten betrachtet erinnern sie an eine Herde Wildpferde, die mit den Füssen trampeln und überlegen in welche Richtung sie rennen sollen. Doch entrinnen gibt es keines. Jetzt nicht mehr. Als sie die Zettel zum dritten Mal durchschaut, fällt einer auf den Boden. Sie hebt ihn auf. Wirft ihre Haare über die Schulter. Steht auf. „Ich hab jetzt etwas ausgewählt“, kommt zwischen einem schüchtern Lachen. Langsam geht sie nach vorne. 60 Augen im Verfolgermodus. Nervosität liegt in der Luft. Stille. Ein Glas wird abgestellt. Stille. Und dann, ganz unvermutet, beginnt sie zu lesen. Bayrischer Akzent.


Der Poetry Slam Workshop im hinteren Bereich der kleinen aber feinen Kufsteiner Buchhandlung fein.kost ist im vollen Gange. Praxisteil. Markus Koschuh hat sich ins Publikum gesetzt und lauscht dem bayrischen Akzent, der von Drogen erzählt. Die Locken hüpfen aufgeregt im Takt ihrer Worte.


Fünf Minuten Hölle oder Paradies

Poetry Slam. Literatur Schlacht. Fünf Minuten für einen Text. Fünf Minuten das Publikum zu begeistern. Fünf Minuten, nach denen das Publikum meist mit Applaus seine Bewertung abgibt. Fünf Minuten, die Markus Koschuhs große Leidenschaft sind. Eine erfolgreiche. Zweifacher österreichischer Poetry-Slam Meister. Vize-Europameister im Poetry Slam 2011. Vater des Kufsteiner Poetry Slam. Seit vier Jahren ist der Poetry Slam in Kufstein zu Hause. Hildegard Reitberger und Brigitte Weninger – die Mütter des Kufsteiner Poetry Slam - sorgten diesen März zum siebten Mal für das Gerüst der Veranstaltung. Markus Koschuh kümmert sich als Moderator und „Seelsorger“ um die Mutigen, die auf der Bühne ihre Wörter lebendig werden lassen.


„Angefangen habe ich mit dem Poetry Slam und dann mit dem Kabarett, weil ich mir mit 80 am Sterbebett nicht vorwerfen wollte, dass ich es nicht versucht habe.“ Das war vor elf, zwölf Jahren. „Der erste Versuch war naja. Der zweite hat Spaß gemacht und dann ging es dahin.“ Klingt einfach. Ist es laut Markus auch. Sofern man ein paar Tipps kennt und beherzigt.


Ohnmächtig auf der Bühne

„Das Leben besteht aus Scheitern.“ Nicht gerade aufbauend, was Markus als ersten Tipp gibt. Und doch die Erfolgsbasis. „Mein erster Bühnenauftritt - eine Katastrophe.“ Saal Tirol. Endstation Sanitätsraum. Ohnmächtig. Noch bevor die Show beginnt. Landesvolksschulsingen. „Ich war sieben Jahre alt. Im habe meine Eltern noch im Publikum gesehen und dann bin ich im Sanitätsraum aufgewacht – meine erste Bühnenerfahrung. Aber da muss man wieder auf die Bühne.“ Learning by doing and failing. Seine Angst genießen. Das ist es, was Markus seither gelernt hat.


Die moderne Art der Folter

Ob der blonde Lockenkopf seine Angst auch gerade genießt? Wohl kaum. Sie verspricht sich, verliert die Zeile. Eine Hand fährt nervös durch die Haare. Die moderne Art der Folter – ein Auftritt vor Publikum. Doch es gibt für Markus eine unumstößliche Tatsache: Ohne Auftrittshäufung wird man nicht besser. Wer nur im Keller oder vor dem Spiegel auftritt, verbessert sich selten. Raus auf die Bühne, auch wenn man fällt. Anders geht es nicht. Denn die eigentliche Angst vor dem Auftritt ist, dass es dem Publikum nicht gefällt, aber „wenn man selbst Spaß daran hat, dann gefällt es halt dem Publikum einmal nicht – egal, bleib dir treu und dann passt das schon.“


Wer scheitern will - hier die besten Tipps

Der Klassiker: Ein Joke zum Beginn. Ein Witz am Anfang zum Auflockern – perfekt, um beim Publikum nicht anzukommen. Vor allem, wenn man weiß, dass man nicht lustig ist. Ist der erste Eindruck erst einmal mies, braucht es lange, bis das Publikum wieder zuhört. „Wer nicht weiß wie anfangen, der soll einfach mit dem ersten Wort seines Text anfangen.“

Auch nicht schlecht, der „hatscherte“ Bühnenauftritt: Ich habe einen Text mitgebracht – „Ja no na ned“, Markus lacht sichtlich amüsiert. „Das wissen wir ja. Aber so ein Beginn wird noch verziehen. Schlimm wird es, wenn eine Minute Einleitung und Vorstellung der eigenen Person vorangeht und der Poetryslamer in der restlichen Zeit mit seinem Text nicht fertig wird.“



„Themen die en vouge sind in wunderschöne Sprache zu kleiden, das plättet das Publikum, das ist dann hin und weg.“



Ein Ende mit Schrecken oder Heiratsantrag

Ebenfalls sehr beliebt, um das Publikum von seinem Nichtkönnen zu überzeugen – kein Ende. Also kein richtiges Ende. Kein durchdachtes Ende. Wie bei jeder Rede gilt, der Anfang und das Ende sind die Hauptzutaten, die im Gedächtnis bleiben. „Der erste Eindruck ist der wichtigste, aber der letzte ist noch wichtiger.“

Der Text alleine macht es nicht. „Du hast nur eine Möglichkeit und fünf Minuten. Es gilt etwas auszulösen beim Publikum mit der Sprache, der Stimme, der Gestik. Manche beeindrucken extremst. Es wurden auch schon Heiratsanträge nach einem Poetry Slam unterbreitet“, streut Markus anregende Theorie.


Hänger – ja bitte!

Eine Struktur in den Text einzubauen, erleichtert es dem Publikum dem Text zu folgen. Refrainartige Wiederholungen. Mit Tempo und Lautstärke spielen. Wer abliest, sollte die Blätter nicht zusammen klammern, um zügig umblättern zu können. Am besten die ersten drei Wörter der nächsten Seite auch auf das Ende der Vorderseite schreiben, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Besser noch: Auswendig lernen. Ohne Zettel in die Schlacht. Angst vor einem Hänger? Wenn es nach Markus geht, kann einem nichts Besseres als ein Hänger passieren. „Es macht einen extrem sympathisch und letztlich findet jeder wieder in den Text.“ Er selbst hat einmal sogar eine ganze Szene in seinem Kabarettprogramm ausgelassen – eine Situation, die er liebt. Herausforderung pur.


Manöverkritik und ab in die Schlacht

Die blonden Locken haben aufgehört zu wippen. Jetzt hüpfen sie eher aufgeregt hin und her und versuchen der Hand zu entkommen, die sie immer wieder zurückstreicht. Der Text ist zu Ende, die Nervosität nicht. Manöverkritik. Lob und Anerkennung für den Text, Tipps für die Präsentation und von Markus die Anweisung: „Trag den Text noch einmal vor und erzähl ihn mehr.“ Die Antwort: Erschrockenes Lockengewippe. Die Szene der Poetryslamer ist freundlich und verständnisvoll. Es wird versucht, sich gegenseitig zu helfen. Tipps werden gerne gegeben. Vielleicht auch mit ein Grund für den Poetry Slam Boom.



„Frauen, von denen Texte sehr erotisierend vorgetragen werden, das ist momentan in, aber ich kann es schon nicht mehr hören.“



Popliterarische Scheiße“

Allein in Österreich gibt es 40 regelmäßige Poetry Slam Veranstaltungen. Dazu kommen noch Meisterschaften. 350 Zuhörer bei einem Poetry Slam sind keine Seltenheit, bei anderen Literaturveranstaltungen sehr wohl. Auch in Kufstein werden die Zuhörer und Slamer immer mehr. In Kufstein waren bereits beim ersten Poetry Slam 15 Teilnehmer auf der Bühne. Der älteste war über neunzig Jahre alt und „er hat die Bühne so richtig gerockt. Ich glaube wir hatten in Kufstein mit Herbert Sommer den ältesten Poetry Slam Teilnehmer im ganzen deutschsprachigen Raum.“ Für überraschte Gesichter sorgte auch eine äußerst liebenswürdig aussehende ältere Dame um die achtzig, die eine Mischung aus Krimi und Western zum Besten gab. Die Überraschungsmomente sind laut Markus verantwortlich für den großen Publikumsandrang. „Es ist der Kick. Als Zuhörer weiß man nicht was an dem Abend passiert. Auch wenn Poetry Slam oft als Popliterarische Scheiße abgetan wird, es kann extrem lyrisch aber auch Effekt haschend unterwegs sein und das macht den Leuten Spaß. Es kann schon sein, dass man sich bei einem Text denkt, das war ein Griff ins Klo, aber der Auftritt ist ja nach fünf Minuten vorbei.“



„Man muss sich gefallen wollen und nicht dem Publikum, es ist wichtiger seine eigenen Sachen zu machen, als das was dem Publikum gerade gefällt.“



Exhibitionismus auf der Bühne

„Ich habe Leute gesehen, die sehr schüchtern waren. Sie haben Blut und Wasser geschwitzt. Aber das hat mit der Zeit etwas mit ihnen gemacht.“ Poetry Slam & Co, das optimale Mittel um den Selbstwert zu erhöhen. Die Bühne ist immer exhibitionistisch und gerade deshalb werden schüchterne Menschen mit der Zeit offener – ein Gewinn für den Alltag.

Die blonden Locken sind einstweilen im zweiten Durchgang. Keine Hand fährt mehr durch die Haare. Rhythmisches Hüpfen. Die Angst weicht dem Genuss. Auf in die Schlacht! Und wer mitrittern will, im Herbst heißt es wieder: Poetry Slam im Stadttheater.

 

 

Texte werden erst lebendig, wenn sie gelesen werden. In diesem Sinne: Danke für´s Teilen ;)

Foto: aus Kufsteinerin - das Magazin, Christian Mey - VANMEY PHOTOGRAPHY

Text: Adriane Gamper

erschienen in: Kufsteinerin - das Magazin 

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