Einmal Brennnessel-Chips bitte

Durchstarten und Teetrinken – wenn eine Familie den Kräutern verfällt



Das erste Kräuterbeet war gerade einmal so groß wie ein Küchentisch. Garniert mit „keine Ahnung von Kräutern“. Aber Gott sei Dank gibt es ja die Mama. Auch im Fall von Martin Grünbacher ist seine Mutter der Rettungsanker, die Kräuterexpertin. Das war vor etwa 18 Jahren. Inzwischen hat sich viel getan. Zahlreiche Kräuterlehrfahrten und „Kräuterexperimente“. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und schwimmt gerade in der Teekanne neben mir. Die sonnengelbe Ringelblume zieht langsam ihre Kreise. Dicht daneben zarte rote Blütenblätter. Goldmelisse laut Inhaltsliste. Aus der Tasse vor meinem Bildschirm steigen Rauchschwaden auf und der Geruch von Minze – Lebensfreudekräutertee, na da bin ich einmal auf die Wirkung gespannt. Auf jeden Fall ist der Tee ein Geruchs- und Geschmacksrückblick auf meinen Besuch bei der Familie Grünbacher. Ihre Heimat, ein kleiner Bergbauernhof in Rettenschöss. Ihre Leidenschaft, der Anbau von Heil-, Gewürz- und Teekräutern. Koasakräuter. Die Saison hat für sie bereits begonnen. Vor kurzem waren sie auf „Bärlauchjagd“. Für ihr Kräutersalz.  

Kampf dem Halsweh

Was Martin bei seiner Kräuterleidenschaft entgegen kommt, er sammelt für sein Leben gerne. „Auf Kräuterjagd zu gehen, ist für ihn ein Vergnügen.“ Rund 1.000 Quadratmeter umfasst sein Kräuterreich heute. 30 verschiedene Kräuter. Ein Traum für jeden Kräuterliebhaber, doch es müssen nicht gleich so viele sein, um optimal ausgestattet zu sein. Zitronenthymian, Rosmarin, Lavendel und dann natürlich Schnittlauch, Petersilie und Salbei sind sozusagen die Grundkräuter. Letzterer schon allein wegen möglicher Halsschmerzen. Als Tee, zum Gurgeln oder einfach ein frisches Blatt Salbei kauen und den Halsschmerzen wird der Kampf angesagt. Wobei auch Salbei nicht immer hilft, wie Martin schon schmerzlich erfahren musste. Mitten in der Nacht: starke Halsschmerzen. Salbei, ergebnislos. Versuch Nummer 2: Thymian; auch nicht gerade erfolgsgekrönt. Aber ein echter Kräuterexperte gibt nicht auf. Auch nicht in der Nacht. Kräuterbuch her. Und siehe da, die Ringelblume soll auch gegen Halsweh helfen. „Die hat dann auch sofort geholfen. Das ist eben das Schwierige bei den Kräutern, du weißt nicht, wo du als Mensch gerade stehst. Und welches Kraut in dem Moment das liefert, was dein Körper benötigt. Das ist wie bei den Bachblüten.“


Frisch, Frischer, Kräuter

Ganz egal welche Kräuter man sein eigen nennt, das Wichtigste ist, dass sie auch frisch verwendet werden. „Es gibt Leute, die ihre Kräuter nie frisch verwenden, sondern immer nur ernten, um sie dann zu trocknen.“ Dabei ist das Trocknen ja nur eine willkommene Form der Konservierung. Wer schon Kräuter sein eigen nennt, sollte sie während der Saison unbedingt frisch verwenden, sind sich die beiden Kräuterliebhaber einig. „Getrocknet werden sollten Kräuter wirklich nur, wenn man zu viel davon hat oder, um sich einen Wintervorrat anzulegen – ansonsten unbedingt frisch verwenden.“  

 

„Drei Tage nachdem wir die Ringelblumenblüten geerntet haben, entsteht wieder ein wahres Blütenmeer. Und das hört nicht auf. Auch, wenn es vielen oft weh tut die Blüten abzuernten, es kommen wieder schöne Blüten nach.“

 

Ernten für ein Meer

Den zweiten Grundfehler, den viele laut Martin machen: nicht ernten. „Durch das Ernten wird die Pflanze angeregt, in der gleichen Qualität wieder nachzuproduzieren.“ Vor allem beim Ernten von Blüten ist das für viele eine Überwindung wie Martin weiß. „Aber, werden die Blüten nicht abgeerntet, setzen sie Samen an und für die Pflanze hat sich die Sache erledigt.“ Das Ergebnis, die Blüten, die nachkommen sind kleiner und nur von geringer Anzahl. Wird aber dann, wenn die Blüten am schönsten sind, geerntet, entsteht innerhalb kürzester Zeit wieder ein Blütenmeer. Und die Pflanzen bleiben auch gesund. So zum Beispiel bei der Melisse. Wer hier auf das Ernten verzichtet, riskiert, dass die Pflanze krank wird. „Wer die Melisse in unserem Klima zu lange stehen lässt, kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass die Pflanze von einem Pilz befallen wird. Die Folge, die Blätter werden „rostig“ und sind nicht mehr zu verwenden.“ 


Kopf ab

Nein, Martin hat mit den Rosen nicht die Liebe zu den Zierpflanzen entdeckt, aber eine weitere Besonderheit für seine Tees. Wildrosenblütenblätter. Die intensiv leuchtenden Rosenblütenblätter stechen aus den Teemischungen geradezu heraus. Das Auge isst eben nicht nur mit, es trinkt auch mit. Und dafür heißt es schlicht und einfach „Kopf ab“ sobald die Rosen am schönsten blühen. Das Ergebnis: Die Rosen „danken“ den Kräuterbauern seine Schnittfreudigkeit mit immer neuen Blüten. Dekorativ sieht es aus, das Glas mit all den leuchtenden Blütenblättern darin, doch wer sie als Tee nutzen möchte, der sollte sie dunkel lagern, und luftdicht verschließen, ideal in einem Glas. Wie übrigens alle Blüten. Ganz anders als Blattpflanzen. Pfefferminze und Co sind am Besten in Papiersäcken kühl und dunkel untergebracht. Die Kräuter werden bei Martin nicht gleich nach dem Trocknen gemischt, sondern erst, wenn Bedarf besteht. Auch wer selbst Kräuter trocknet, sollte diese getrennt aufbewahren. So kann schnell ein individueller Tee für bestimmte Anlässe oder Wehwehchen entstehen. Ein spezieller Tipp von Elisabeth ist auch, die Kräuter nicht vor dem Trocknen klein zu schneiden, da dadurch nur die Oxidationsfläche erhöht wird und die Qualität leidet.


„Wenn sich jemand über Unkraut wie Löwenzahn und Spitzwegerich im Rasen ärgert, einfach essen!“


Unkraut - Mahlzeit

Die beiden Kräuterexperten sind praktisch veranlagt. Auch was diverse Unkräuter betrifft. „Gierschangriff“. Zwischen den knackig grünen Salatblättern reckte einmal das wuchernde Unkraut seine Blätter der Sonne entgegen und drohte, dem Salat seinen angestammten Platz streitig zu machen. Bis zum Gegenangriff von Elisabeth. Unbarmherzig könnte man fast sagen. Jedenfalls ist sich über Unkraut zu ärgern nicht so Elisabeths Sache, sie hat das Wildkraut kurzerhand in die Salatschüssel und auf die Kasspatzel verbannt, Giersch als Petersilienersatz. „Für die meisten Unkräuter gilt, nicht darüber ärgern, sondern essen. Bei einigen muss man nur etwas wegen dem Geschmack aufpassen. Wer etwa zu viel Gundelrebe verwendet, darf sich nicht wundern, wenn das Essen einen leichten Geißengeschmack hat. Aber ein wenig im Salat ist gut für die Leber, das regt zur Entgiftung an.“ Auch sehr zu empfehlen: Schafgarbenblätter, sie sollen, so erzählt Martin, die Wirkstoffe aller Schüsslersalze beinhalten.  

Einmal Weißwurstsenf bitte

Wem Schafgarbe & Co im Salat zu hantig sind, kann mit ein paar Tricks nachhelfen. „Ein süßer Äpfel fein aufgeschnitten unter die Kräuter gemischt, nimmt viel vom etwas hantigen Wildkräutergeschmack“, wie Elisabeth empfiehlt. Wohingegen Martins Geheimwaffe süßer Weißwurstsenf in der Salatsoße ist. „Und mit Kernöl kann man auch noch vieles im Geschmack abrunden.“

 

Brennnesselchips

Apropos Essen. Wenn Elisabeth einmal nicht weiß was kochen, macht sie einen Abstecher in ihre Kräuter- und Gemüsewelt und schaut nach, was der Garten hergibt. Derzeit hoch im Kurs: Brennnessel. Brennnesselspinat ist unter Feinschmeckern wohl bekannt. Schon etwas ungewöhnlicher und durchaus Mut erfordert Brennnesselsalat. „Keine Sorge, es brennt nicht im Hals“, meint Elisabeth lachend. Allerdings muss man vorher den Brennnesseln eins überziehen. Mit dem Nudelholz. Ein paar Mal kräftig über die Blätter rollen und die Brennhaare sind entschärft. Und wer seinen Kindern eine Freude machen will, sollte einmal Brennnesselchips herstellen. Geht schnell und ist auch noch gesund. Elisabeth pflückt dafür einfach junge Brennnesselspitzen und brät sie kurz in etwas Öl. „Die werden knusprig wie Chips und die Kinder lieben sie.“ Dazu passt am besten etwas Kräutersalz – im Falle von Elisabeth und Martin natürlich auch aus der eigenen Produktion.  


„Wer seine Kräuter düngen will - sie freuen sich über Kompost, aber auch Kaffeesatz kann verwendet werden."


Kampf den Gelenkschmerzen

Dass Brennnesseln nicht nur schmackhaft sind, sondern auch Heileigenschaften haben, stellte Elisabeth am eigenen Körper fest. Als bei ihr plötzlich Gelenkprobleme auftraten, riet ihr ein Kräuterexperte, zur Brennnessel zu greifen. Nicht so sehr als Tee, vielmehr roh. Direkt von der Pflanze. Gesagt getan. Zum Entschärfen der Brennhaare rieb sie die frischen Blätter zwischen den Fingern, um sie dann genüsslich noch im Garten zu verspeisen. An die vier bis fünf, immer wieder einmal. Das Resultat nach einer Woche: keine Gelenkschmerzen mehr.


Grünes Hexengebräu

Besonders beliebt sind Brennnessel und diverse Kräuter derzeit bei den trendigen grünen Smoothies. Und wenn jemand einmal keinen Tee trinken will, dem empfiehlt Elisabeth, die Kräuter in einen Krug mit kaltem Wasser zu legen und ein, zwei Stunden zu warten.

Wofür auch immer man Kräuter einsetzt, wichtig ist, dass die Teemischungen immer wieder gewechselt werden. „Immer die gleichen Kräuter zu verwenden, ist mit der Zeit schlecht für die Gesundheit.“ Auch Martin ändert bei seinen Koasakräuter-Teemischungen einzelne Bestandteile. So werden etwa Brennnesselblätter im Laufe der Saison gegen Brombeerblätter ersetzt.  

Einfach loslegen

Wer Lust auf Kräuter bekommt, den rät Martin vor allem die Kräuter in der Nähe der Küche zu haben. Nur dann werden sie auch genutzt. Und wer keinen Garten hat, Kräuter gedeihen auch im Topf oder Balkonkistel Mit Zitronenmelisse, Erdbeerblätter, Johannisbeerblätter, Himbeerblätter als Grundzutaten für einen Tee kann man nichts falsch machen. Und dann heißt es einfach immer der Nase nach und probieren geht über studieren. Wer etwa seinem gereizten Hals etwas Gutes tun möchte, sollte zu Malven, Königskerze, Zitronenthymian oder Spitzwegerich greifen. Sie wirken alle schleimlösend und gegen Halsschmerzen. Von den Zutaten ist in meinem Lebensfreude-Kräutertee allerdings nichts enthalten. Dafür aber Zitronenmelisse und Frauenmantel. Wobei mein Tee neigt sich inzwischen leider dem Ende zu. Nachschub ist gefragt. Vielleicht sollte ich ja einfach einmal nachschauen, was der Garten schon so alles hergibt.

 

 

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erschienen in: Besser Leben www.besser-leben.at

Foto: Martin Grünbacher

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