SPRING ICH ODER SPRING ICH NICHT?

Ein Training mit der Wasserrettung Kufstein

 

Vom Frühjahr bis zum Herbst übt die Wasserrettung Kufstein alle vierzehn Tage im Inn. Von der Anfahrt zum Einsatzort bis hin zum Brückenspringen. Für die aktiven Mitglieder der Wasserrettung Routine, doch was passiert, wenn man als Redakteur das Angebot annimmt einmal mitzutrainieren?


Der Tag davor. Ein Telefonat mit Michael Hämmerle. Die Offenbarung. Nicht von einer Brücke, sondern von mehreren heißt es springen. Er meinte irgendetwas von Suchtgefahr. Sorry, aber momentan besteht bei mir nur Fluchtgefahr. Fußgänger-Innbrücke in Enddach. Wenn ich nicht die Sorge hätte beim retour klettern über die Brüstung runter zu fallen, ich würde es augenblicklich machen. Für die Füße sind geschätzte fünf Zentimeter Platz. Unter mir eine braune Brühe, weiße Schaumkrönchen. Sehr verlockend.

 

Wie alles begann

 

Irgendwie klang das damals am Schreibtisch ganz anders. So easy. „Wie wäre es mit einer Reportage über das Innschwimmen mit der Wasserrettung?!“ Klingt doch recht harmlos, so eine Ansage vom Herausgeber. Und ein wenig im Inn herumschwimmen, zugegeben ein Jugendtraum. Betonung auf herumschwimmen. Wieso also nicht. Immerhin, vom Frühjahr bis zum Herbst geht es für die Wasserrettung Kufstein alle zwei Wochen in den Inn. Es wird geübt für „alle Dinge, die passieren können.“ Michael Stock lehnt entspannt an der Mauer vor der Halle der Wasserrettung. Sommerbräune, spitzbübisches Lachen. Das Boot ist bereits am Hänger. Die Ersten erscheinen im Neoprenanzug. Kurzes Infointerview bevor es los geht. Michael Stock, Einsatzstellenleiter der Wasserrettung Kufstein und sein zweiter Stellvertreter Michael Hämmerle stehen Rede und Antwort.

 

 

Fünfmeterbrett

Von der Rettung im Wasser bis hin zur Anfahrt zum Einsatzort, wird von den aktiven Mitgliedern der Wasserrettung alles immer wieder geübt. „Ach ja und Brückenspringen. Das machen unsere Leute total gerne“, kommt es mit einem frechen Grinsen vom Einsatzstellenleiter. Mir ist nicht so ganz zum Grinsen. Wie hoch die Brücken sind? Die zwei Michaels blicken sich kurz an. Wieso kommt da plötzlich ein leicht misstrauisches Gefühl in mir auf? Michael Stock erklärt mit einem souveränen Lachen im Gesicht, dass das vom Wasserstand des Inns abhängt. „Momentan ist der Inn eher niedrig. Daher sind die Brücken so zwischen fünf und maximal sechs Meter hoch. Das ist wie beim Springen vom Fünfmeterbrett“, kommt es lapidar daher. Fünfmeterbrett; sorry aber ich spring freiwillig nicht einmal vom Dreimeterbrett. Es sei ja eh viel einfacher, werde ich aufgeklärt. Und von der Bahnhofsbrücke, da springen alle sowieso viel lieber.“ Großes Grinsen in zwei Gesichtern. Wegen den Zuschauern kommt die Aufklärung. „Das Publikum in den Cafes, die Passanten, da will sich niemand die Blöße geben.“ Wobei niemand springen muss. Wenn jemand nicht will oder einen Rückzieher macht, ist es Ehrensache für alle von der Wasserrettung, dass niemand blöd redet.


Eins, zwei

Fotowunsch: Alle gleichzeitig. Sechs „Verrückte“ auf der Brücke. Bei drei Absprung. Im Wasser der Jetski und das Boot der Wasserrettung. Die Gedanken einer Frau vor dem Sprung? Hält die Wimperntusche – grauenhaft diese „Ich war im Schwimmbad und hab mich vorher geschminkt Bilder.“ Eins! Direkt unter mir schwimmt ein Stück Holz vorbei. Nicht groß. Zumindest von hier heroben aus betrachtet. Vielleicht so an die dreißig Zentimeter. Zwei! Das Dröhnen des Jetskis kommt näher. Eine Fahrradklingel durchbricht das Getöse. Das Rauschen des Inns ist kaum zu hören. Das Stück Holz ist verschwunden. Adrenalinpegel, nicht mehr messbar würde ich sagen. Im Zeitlupentempo rinnt ein Schweißtropfen den Rücken hinunter. Neopren bei über dreißig Grad = Sauna.



„Wenn man in einer Topverfassung ist, hätte man schon Chancen an den Rand zu kommen, wenn die Wassertemperatur nicht wäre. Im Hochsommer zwölf Grad, ansonsten acht und weniger. Ohne Neopren kühlst du sehr schnell aus. Im Minutentakt. Die Muskulatur krampft, wird überbeansprucht, dann gehst du sang und klanglos unter“ – Michael Stock




Lebensgefahr – vor Nachahmung wird gewarnt

Ein Sprung in den Inn ohne Neopren, Schwimmweste und dem Beisein der Wasserrettung ist ein Spiel mit dem Leben. „Wenn man in einer Topverfassung ist, hätte man schon Chancen an den Rand zu kommen, wenn die Wassertemperatur nicht wäre. Im Hochsommer zwölf Grad, ansonsten acht und weniger. Ohne Neopren kühlst du sehr schnell aus. Im Minutentakt. Die Muskulatur krampft, wird überbeansprucht und dann gehst du sang und klanglos unter“, erklärt Michael, während er selbst seine Schwimmweste über den Neopren zieht. Genauso wichtig ist es aber für die Wasserretter diese Sprünge für den Ernstfall zu üben, nur so wird der Sprung von der Brücke zur Routine. Nur durch dieses laufende Üben ist gewährleistet, dass sie sich selbst im Ernstfall nicht in Gefahr bringen und wissen, wie sich agieren müssen.


Drei

Wie war das gleich noch einmal? Gerade eintauchen sonst kann es blaue Flecken geben. Hände vor dem Körper. Drei. Es gibt diese Momente, in denen man einfach nur funktioniert. Keine Ahnung, wo meine Hände sind. Auf jeden Fall nicht mehr an der Brüstung. Es ist ein Gefühl von Unendlichkeit. Gedanken? Keine. Und dann Wasser. Überall. Luftblasen perlen durch den Neoprenanzug. Sektglasfeeling. Die Endlichkeit hat mich wieder. Brückensprung die Erste. Ein unglaubliches Gefühl. Wobei, wenn ich in dem Moment gewusst hätte, was noch auf mich zukommt. Aber davon sagt mir jetzt natürlich keiner was.

 

75 km/h

Der Jetski braust heran. Mein Taxi. Mit bis zu 90 km/h geht es im Notfall quer über den Inn. Im Einsatzfall fahren die ersten drei, die bei der Einsatzzentrale ankommen und die Befähigung haben den Jetski zu verwenden, mit dem Schnelleinsatzgerät los. „In den meisten Fällen geht es um Einzelpersonenrettungen. Da ist das absolut ausreichend“, höre ich Michael Stock sagen, während der Jetski neben mir hält. Nichtsdestotrotz fährt zur Unterstützung der Rest der ankommenden Wasserretter mit dem Boot nach, um Assistenz zu leisten. Auf einer vom Landesverband selbst programmierten App, wird durch das GPS der Funkgeräte genau angezeigt, wo sich wer befindet. „Die Aktualisierung erfolgt im Minutentakt. Da siehst du genau, wo wer ist, wenn er zum Einsatz fährt und kannst abschätzen, wie lange er noch braucht.“ Ich brauche momentan auch etwas; um auf den Jetski zu kommen. Mit 75 km/h

geht es über den Inn – Adrenalinkick die zweite.

 

Baywatch ich komme

Ob ich noch einmal springen will? „Wieso habe ich nur ja gesagt“, denke ich Bruchteile vor meinem zweiten Sprung. Das Feeling – gleich wie beim ersten Mal. Michael Hämmerle schaut zu uns runter bevor er sich auf den Weg zur Bahnhofsbrücke macht. Die Wasserrettung ist seine Leidenschaft. Auf die Frage wieso er zur Wasserrettung gegangen ist, lacht er leicht verlegen. „Ich bin dabei seit ich zwölf bin. Wegen Baywatch.“ Ich muss grinsen und kann mir die Frage nicht verkneifen: „Wegen den Blondinen oder David Hasselhoff.“ Michael lacht laut auf. „Ah ja, das lassen wir jetzt einmal. Sagen wir mal so, das mit den Frauen funktioniert nicht so, aber es ist einfach ein Megaspaß.“ Mir vergeht das Lachen inzwischen. Ich soll irgendwie ganz nach links schwimmen und dann aus dem Inn raus, bei der Rampe wohlgemerkt und nicht irgendwo.

 

Die Challenge

Die Bahnhofsbrücke schaut höher aus. „Reine optische Täuschung“, erklärt mir Michael Stock und verschwindet ziemlich rasch. Kann man sich so täuschen? Keine Zeit zum Nachdenken. Rechts von mir höre ich: „Jetzt kommt die Challange!“ Springen von der Brüstung der Bahnhofsbrücke. Kann man einen Laternenpfosten lieben? Ja. Zumindest den, an den ich mich gerade klammere. Bei drei soll ich meine neue Liebe loslassen und springen. Unbedingt gerade eintauchen. Die Hände vor dem Körper lassen. Bei eins macht sich irgendeine Gehirnzelle Gedanken darüber, wieso diese strikten Anweisungen. Ist doch jetzt schon mein fünfter Sprung.“ Aber wer beachtet schon eine einzelne Gehirnzelle? Bei zwei verbiete ich der Gehirnzelle sämtliche Zweifel. Bei drei springe ich. Die Unendlichkeit dauert länger. Viel länger. Etwa drei Meter länger, wie ich später erfahre. Neun Meter – drei Stockwerke in den zwölf Grad kalten Inn. Wo ist dieser Michael Stock.

 

Wie es weiter geht

Kekse gehen die Runde. Wie kann man jetzt etwas essen? Alle stehen vor der Wasserrettungshalle um eine Kiste Bier. Laue Sommernacht. Mein Adrenalinspiegel bewegt sich in messbare Bereiche. „Willst du nicht einmal mit uns zum Canyoning?“ „Ja, wieso nicht“, höre ich mich sagen. Tief in mir drinnen weiß ich, dass ich mich dafür noch verfluchen werde ;-)


erschienen in: www.kufsteinerin.at

Foto: www.vanmey.com



 

 

 

Texte werden erst lebendig, wenn sie gelesen werden.

In diesem Sinne: Danke für´s Teilen ;)


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