Wenn das Leben richtig Mode macht

Die Kufsteinerin Angie Miller ist erfolgreiche Mode-Designerin. Im zarten Alten von 14 Jahren entdeckt sie ihre Leidenschaft. Aber ihr Erfolgsweg ist alles andere als gerade. Erst Jahre später erwacht in einer Fabrik das, was als Jugendliche ihr Herz erobert hat so richtig zum Leben. Und irgendwie verdankt sie auch ihrer verlorenen Geldtasche, dass sie heute erfolgreiche Designerin ist.


Angie Miller steht mitten in ihrem Outletstore in Kiefersfelden. Mit sicherem Griff nimmt sie eine hellblaue Jacke heraus. Leicht. Anschmiegsam. Weich. Und auch ein wenig frech. Auf der Rückseite ist eine Breze appliziert. Darunter steht in markantem Rot: Aufgebrezelt. Aufgebrezelt ist Angie Miller aber ganz und gar nicht. Irgendwie viel zu nett, zu sympathisch ist sie für eine erfolgreiche Designerin. Oder wie man sich diese eben so vorstellt. Schürft man nach ihrem Geheimnis, entdeckt man schnell, dass es ihr Weg ist, der sie geprägt hat.


Damals als alles noch anders war

Es fing im Internat an“, beginnt sie zu erzählen, während sie sich an den großen Tisch mitten im Laden setzt. Ihre Augen blitzen belustigt bei dem Gedanken an damals. Sie ist gerade 14 als sie ihrer Leidenschaft freien Lauf lässt. Mitten im Internat. Unpassend. Zumindest in den Augen der Lehrer, die mit Strafen dafür nicht geizen. Der Grund: ihre Laufstegzeichnungen, die sie während des Unterrichts skizziert. Angie Miller ist schon damals auf Mode fixiert, aber ihr Vater hat eine Schinken- und Speckerzeugung im dörflichen Brixlegg. Ein mittelständisches Unternehmen. Ihre Eltern bestehen daher auf eine kaufmännische Ausbildung, danach könne sie machen, was sie wolle. Deswegen lebt sie ihre Leidenschaft auf ihre Weise aus, ein wenig geheim aber eben auch während den Schulstunden. „Ich bin in Brixlegg aufgewachsen. Das war ein kleines 3.000-Seelendorf. Da konntest du keine Mode kaufen, die in den Zeitschriften zu sehen war. Ich habe mir Schneiderinnen gesucht und individuell etwas machen lassen.“ Und dann, just als sie ihre kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hat, verunglückt ihr Vater tödlich. So war das nicht geplant. „Ich war 27 und verurteilt, den Betrieb mit meiner Mutter weiterzuführen.“ Endstation Sehnsucht.



Mode begeistert und verunsichert, sie verändert und macht Staunen , sie ist ein Teil unseres alltäglichen Lebens und steckt doch voller Geheimnisse.” 



Die Designerin erwacht

Angie Miller zupft bei dieser Erinnerung nachdenklich ihr weißes Oberteil zurecht. An den Wänden hinter ihr hängen Fotos ihrer Mode: edel und stylisch. Die Pur-Line, wie sie sie nennt. Ihre zweite Linie, die seit einigen Jahren ihren Country-Style erweitert. Ihr Hund springt auf. Die Türglocke geht. Freudiges Gebell. Angie Millers Mann kommt herein. „Ich habe spät geheiratet. Erst mit 37. Mein Mann hat nach der Hochzeit zu mir gesagt ´und jetzt machst du das, was dir Spaß macht`.“ Zu der Zeit wohnt sie schon in München. Was ihr immer noch Spaß macht, ist Mode. Nur sie hat keine Ausbildung als Designerin. Aber jede Menge Gefühl für Stoffe und Schnitte. Genau das, was eine gute Designerin braucht. Gefühl und Kreatitivät. Also geht sie einkaufen. Einfach so. In einem Münchner Modegroßhandel. Und sie legt los. „In meiner Familie hat nie jemand was gefunden, was passte. Also bin immer ich losgezogen und mit unzähligen Säcken retour gekommen.“ Ja, das Gespür dafür, was wen wie kleidet, hatte sie schon immer. Und wie das Schicksal es will, wird Angie Miller’s Talent auch in diesem Münchner Modegroßhandel erkannt. Sie kommt als Kundin, geht als Verkäuferin. Aber als das Geschäft nach zwei Jahren aufgelöst wird, steht sie erneut vor dem Nichts. Jobbt mal hier mal da. Auf der einen Seite ist sie überqualifiziert, auf der anderen Seite kann sie keine Schnitte zeichnen. Erneut fasst sie sich ein Herz. In Strickfabriken holt sie sich Kommissionsware und beginnt, diese auf von ihr organisierten Events zu verkaufen. Das Geschäft funktioniert, doch wirklich Gefallen findet sie an der Mode, die sie verkauft nicht. „Mit der Zeit habe ich begonnen, mich dann als Designerin aufzuspielen, habe gesagt macht das so und das so.“ Bis zu dem Moment, wo sie in diese eine Fabrik kommt und alles anders wird. 


Liebe auf den ersten Blick

Es war, wie wenn mich ein Blitz getroffen hätte. Ich ging da rein und dann habe ich es gesehen.“ Beim Erzählen rutscht Angie Miller aufgeregt hin und her. Ihre Haare fallen über die Schulter nach vorne. Mit einer Bewegung schiebt sie sie wieder nach hinten. Eine Strähne bleibt. Fällt kokett über ihre Stirn. Es war wie die berühmte Liebe auf den ersten Blick. „Ich habe dieses besondere Material gesehen. Walk. Sie haben den Walk an allen Ecken und Enden in der Fabrik verarbeitet. Das Material war so anders als die anderen Stoffe. Mir war sofort klar, dass man daraus viel machen kann. Offenkantig, modern. Ich war wie elektrisiert, gleich voll von Ideen. Bis ich die Mode dieser Fabrik gesehen habe. Die haben doch tatsächlich nur altmodische Sachen produziert.“ Der Walk, ihre Ideen und die altmodische Kleidung der Fabrik, eine Mischung, die in Angie Miller wirkt, als hätte man einen Schalter umgelegt. Noch in der Fabrik, zwischen all dem Walk und den altmodischen Kleidern, fällt sie von einem Moment auf den anderen die Entscheidung, sich nicht mehr als Designerin aufzuspielen, sondern selbst eine zu werden. Sie kauft ein paar Ballen Walk und beginnt, zu zeichnen.


Und dann ging es abwärts

Angie Miller erzählt mit Leidenschaft. Und doch geradlinig. Genauso wie auch ihre Mode ist. Ihre Handschrift findet sich schon in ihrem ersten Modell. „Es hat voll eingeschlagen.“ Ihre Kunden kommen von Salzburg, Wien. Modeagenturen fordern sie auf, eine Kollektion zu entwerfen. Sie hat kein Kapital, nimmt einen Kredit auf. Kauft mehr von „ihrem“ Walk. Zeichnet. Lässt nähen. Scheitert.

 

Der schwärzeste Tag und die Geldtasche

Nach nur drei Monaten ist das ganze Geld weg. Sie war noch auf keiner Messe, um ihre Modelle vorzustellen. „Und ich hätte produzieren müssen. Ich war an dem Punkt, wo ich gesagt habe, jetzt geht gar nichts mehr. Dabei habe ich gewusst, dass ich einen Businessplan brauche. Immerhin war mein Vater Unternehmer und meine Mutter kam aus der Skidynastie Kneissl. Ich habe schon als Kind alles rund um Zahlen gehört.“ Sie lacht als sie ergänzt, dass damals eben die Liebe zum Walk einfach stärker war als ihr wirtschaftliches Wissen. Die Folge: Das Konto ist leer, Rechnungen müssen trotzdem bezahlt werden. Bei jedem Gang zum Briefkasten hat sie Angst, neue Rechnungen zu finden. Eine Freundin gibt ihr die DVD „The Secret“. „Darin haben sie gesagt, man soll nicht davon ausgehen Rechnungen zu erhalten, es könnte ja auch ein Scheck im Briefkasten sein. Ich habe das für lächerlich gehalten. Zuerst.“ Die Wende kommt, als sie ganz unten ist, am schwärzesten Tag ihres Lebens. Sie plant, alles aufzulösen. Und verliert genau an diesem Tag auch noch ihre Geldtasche. „Mit meinem letzten Bargeld. Das Konto war dicht.“



Meine Idee war es, etwas Neues und Innovatives zu schaffen, in der Hoffnung,

dass daraus ein Klassiker wird. Und das ist auch passiert.” 



Der Deal

In der Nacht habe ich einen Deal mit mir gemacht. Wenn ich die Geldtasche wiederfinde, ist das das Zeichen, dass ich weiter machen soll. Ich habe es an das Universum abgegeben.“ Sie findet die Geldtasche. Glaubt an Schecks. Und eine Woche später entsteht das Modell, das auch heute noch der Renner ist. Trotzdem ist es anfangs nicht einfach. 


 

Gott sei Dank kam die Krise“

Die ersten zwei Jahre hört sie von Boutiquen nur: „Ihre Sachen sind schön, privat würden wir sie kaufen, aber wir wollen kein neues Label aufnehmen.“ Bis zur Wirtschaftskrise. Die Boutiquen wollen mit neuem Blut ihre Kunden halten. Angie Miller rotiert. Anfragen über Anfragen. Und das fast von heute auf morgen. Nur die Banken machen ihr das Leben schwer. „Bei meinen ersten Auftägen, bekam ich noch kein Geld von den Banken, es hieß nur, die Aufträge könnten ja fingiert sein. In dem Moment hat mir meine Familie geholfen, die von mir überzeugt war. Mich konnte nichts mehr aus der Ruhe bringen. Das ist der Vorteil meines Alters. Viele kommen aus der Modeschule, freuen sich über ihre ersten Aufträge, haben jedoch keine Ahnung wer ihnen das produziert. Ich wusste, dass alles wie ein Puzzle ist. Du kannst die tollsten Ideen haben, wenn du nicht akribisch bist, gehst du unter.“ Inzwischen hat Angie Miller zwei Produktionsstätten, die für sie nähen. Sie kann immer noch keinen Schnitt zeichnen. Ihre Modelle entwirft sie wie am Anfang im Auto. „Je länger ich fahre, desto besser werden meine Ideen. Das läuft dann wie ein Film vor meinen Augen ab.“ Die Türklingel geht. Kundschaft. 


 



 

 

 

Texte werden erst lebendig, wenn sie gelesen werden.

In diesem Sinne: Danke für´s Teilen ;)


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