Die Fitness-Friedl

 

 

Die Frau, die mit 91 Jahren das Fitnessstudio rockt

 

Der Schnee knirscht unter Friedls Füßen. Ihre lilafarbene Winterjacke ist der einzige farbige Lichtpunkt im Morgengrauen. Die Straßenlaternen bekommen langsam Konkurrenz von den Lichtern der Häuser. Kufstein beginnt zu erwachen. Frühstückszeit. Nur nicht für Friedl. Sie hat nur ein Ziel. Ein eisiger Wind bläst, doch das bemerkt sie nicht, viel zu groß ist die Vorfreude auf die nächsten zwei Stunden. Sie schwingt sich auf ihr Fahrrad und radelt trotz Winterwetter los. Das Rad ist ihre heimliche Liebe. Ohne ihr Fahrrad geht gar nichts Sommer wie Winter. Es gehört zu ihrem Leben dazu wie das Fitnessstudio; viermal die Woche. Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag. Nur an ihrem Geburtstag war sie nicht. An ihrem 91. Geburtstag vor zwei Monaten.

 

Sehnsucht Berg

Friedl sitzt auf der kleinen Couch im Fitnessstudio. Auf ihrem schwarzen T-Shirt prangt in dezentem Beige „Life is outside“. Wer die 91jährige Kufsteinerin kennt, weiß, dass es keine passendere Aussage für sie und ihr Leben geben könnte. Ihr Leben fand schon immer draußen statt. In der Nähe von Magdeburg geboren, trägt sie seit sie zurückdenken kann, diese unbändige Sehnsucht nach den Bergen in sich. Und genau diese Sehnsucht wird zu ihrem Lebensinhalt und zu ihrem Schicksal.

 

Die Preußin und der Kufsteiner

Als der Krieg ausbricht, landet Friedls Vater in Innsbruck. Für Friedl, die schon immer die Berge sehen wollte ein eindeutiges Zeichen. Sie macht sich auf den Weg zu ihrem Vater. Es sollte nur ein Besuch werden, doch es wird Liebe auf den ersten Blick. Aber es ist nicht nur die Bergwelt, die ihr Herz erobert, es ist vor allem ein Kufsteiner. „Die Preußin und der Kufsteiner“, Friedl lacht amüsiert. „Die Eltern meines Mannes hatten eigentlich vor ihn mit einer Bauerstochter zu verheiraten, aber da haben wir ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

 

Mit den Gämsen

Sie haben nicht viel, aber eine große gemeinsame Leidenschaft, ihre Berge, allen voran den Kaiser. „Ich kenne den Kaiser in- und auswendig. Mein Mann war ein richtiger Bergfex.“ Wanderwege sieht die rüstige Lady allerdings selten. Ihr Mann geht nicht auf den üblichen Wegen. „Wir waren immer abseits der Wanderrouten unterwegs, immer querfeldein.“ Friedl ist überzeugt, dass diese ständige Bewegung das Geheimnis ihrer Gesundheit ist, „neben meinem ganz speziellen Frühstück“, kommt es mit einem Augenzwinkern.  

 

Alles auf Neu mit 70

Von der Couch aus sind die Laufbänder zu sehen. Auf die schwingt sich Friedl immer als erstes. Ganze 30 Minuten. „Ich laufe nicht gerade, aber ich gehe mein Tempo und das bewusst.“ Bewusst ist vielleicht auch das Zauberwort in ihrem Leben. Das Zauberwort für ihre Fitness. „Was ich mache, mache ich mit Konsequenz und ich bin voll dabei.“ So geht sie bis sie 70 wird zum Aerobiktraining. Und dann kam der 1. Dezember 1995 und Friedl trifft zum 2. Mal die Liebe auf den ersten Blick.

 

Altes Ehepaar

„Ich bin schon 70.“ Mit diesem Satz hat damals vor über 20 Jahren alles begonnen. „Ich kann mich noch genau daran erinnern. Und ganz ehrlich ich habe mich schon etwas geschämt, als ich da vor dem Werner gestanden bin.“ Doch für „ihren“ Werner, wie sie ihn liebevoll nennt, ist ihr Alter nicht im entferntesten ein Hinderungsgrund für ein Training und schon bald gehört Friedl zur eingeschworenen Morgentruppe. Das Trainieren im Fitnessstudio wird zu ihrer neuen großen Leidenschaft. Wobei sie damals eigentlich nur mit einem Bekannten mitgekommen ist, der eine Gratisstunde hatte und nicht alleine gehen wollte. Friedl lacht immer noch wie ein kleines Mädchen über ihre Anfänge und vor allem darüber wie sie sich damals geschämt hat. „Ich habe mir gedacht mit 70 kann man nicht mehr in ein Fitnessstudio gehen und jetzt bin ich 91 und gehe immer noch.“ Als ihr Werner einen Kaffee serviert, meint sie zu ihm nur: „Inzwischen sind wir wie ein altes Ehepaar.“ Werner lacht amüsiert, er kennt seine Friedl. Sie ist das Vorbild für viele Junge hier herinnen. „Ich selbst sehe mich nicht als Vorbild, aber es tut gut, wenn das jemand von mir sagt.“

 

Der Krautinger

Mit einem „probier einmal, die sind so etwas von lecker.“ Stellt Werner einen Obstteller neben den Kaffee und deutet auf die aufgeschnittene Birne. Friedl verdreht nur die Augen und lässt ein gespielt verächtliches Schnaufen hören. „Du immer mit deinem gesunden Kram.“ „Ja, ja und du mit deinem Krautinger“, kommt es gespielt entrüstet zurück. Werner kennt Friedls Schwäche für den speziellen Schnaps und hat immer eine Flasche im Studio. „Friedl ist wirklich die einzige, die den ab und zu trinkt.“ Und da ist es wieder zu hören, dieses junge Lachen, das die 91jährige um so viel jünger erscheinen lässt. „Der Krautinger ist kein Schnaps, sondern vielmehr eine Medizin“, setzt sie nach. „Dieses extrem gesundheitsbewusste Leben ist nicht das wahre. Ich habe mein eigenes Geheimrezept für meine Fitness.“

 

Einmal Harley

Mit einem „ich muss dir etwas zeigen“ springt Friedl plötzlich auf und verschwindet in Richtung Umkleideraum. Kurz darauf kommt sie mit einem kleinen weißen Umschlag retour. Vorsichtig öffnet sie ihn und holt mit einem Strahlen im Gesicht den Inhalt heraus. Ein Foto. Ihr Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Es war im vergangen Sommer als sie der neue Nachbar ihrer Tochter zur Tour auf seiner Harley einlädt. „Das war so etwas von toll. Er hat die Musik aufgedreht und wir sind losgefahren. Wie zwei 18jährige. Das hat mir so gut getan und ich bin mächtig stolz auf mich.“ Und dann kommt der verschmitzte Nachsatz. „Nur meine Beine sind etwas zu kurz zum Harley fahren.“ Dieses Ausprobieren von Neuem hält sie Jung, lässt sie ihr Alter vergessen. Auch hier im Studio. Wird ein neues Gerät aufgestellt, ist sie meist eine der ersten, die es ausprobieren möchte.

 

 

"Viele sind neidisch, wenn sie sehen wie fit

ich mit 91 Jahren bin, aber man muss etwas tun, um so fit zu sein.

Zu Hause sitzen und zum Arzt laufen, bringt nichts."

 

 

Das geheime Frühstück

Auf die Frage, was denn jetzt ihr ganz spezielles Frühstück ist, das sie so fit hält, wandert ihr Blick in Richtung Werner, der nur lachend den Kopf schüttelt. „Ich verrate dir mein Geheimnis“, meint sie im Flüsterton, während ihr der Schalk aus den Augen blitzt. „Wenn ich in der Früh aufstehe, dann nehme ich jeden Tag einen Schluck Schwedenbitter. Direkt aus der Flasche. Und dann geht’s zum Training. Das ist meine Medizin.“ Ansonsten isst die Wahlkufsteinerin wenig. Ihr Magen ist, wie sie sagt, so eingestellt, dass er erst um halb zehn nach dem Training Hunger bekommt. Radieschen, Tomaten, Marmelade alles querdurch kommt dann auf ihren Teller; Hauptsache süß und sauer und irgendein Gemüse. „Da will ich dann meine Ruhe haben und nicht gestört werden.“ Das Mittagessen fällt dafür aus. „Aber was ich mir nicht nehmen lasse sind mein Schnaps und mein Likör.“ Letzteren macht sie selbst und nimmt immer wieder einmal eine Kostprobe mit ins Studio. Sehr zur Freude mancher Studiobesucher.

 

Ein echter Steinbock

„Ansonsten gibt es bei mir keinen Schnick Schnack. Nur in die Sauna gehe ich einmal in der Woche, das gönne ich mir.“ Auf jeden Fall ist sie sich sicher, dass man etwas tun muss, um fit zu bleiben. „Die anderen sind immer neidisch, weil es mir so gut geht, aber sie sitzen einfach nur bequem zu Hause rum.“ Aber genau das ist es, was Friedl gar nicht kann. Einen Kinofilm lang stillsitzen, ist für sie eine Qual. Da schwingt sie sich lieber auf ihr Rad. „Ich brauche niemanden. Ich bin eben ein echter Steinbock.“ Sobald der Schnee weg ist, fährt sie nach Niederndorf oder auch nach Kiefersfelden zum Baggersee. Und ab einer Wassertemperatur von 14 Grad hat, geht sie auch immer wieder einmal schwimmen.

 

Bloß nicht nach Hause

Es ist zehn Uhr. „Eigentlich wollte ich ja jetzt noch etwas trainieren, aber das Studio hat ja heute erst ab Mittag offen.“ Zügig steigt sie die Treppen des Fitnesstudios hinunter. Mit einem „bis bald“ verabschiedet sie sich mädchenhaft und geht in Richtung Innenstadt. Ein wenig flanieren ist angesagt, nach Hause geht sie so schnell nicht. Nach ein paar Metern dreht sie sich noch einmal um und winkt. „Die werden alle schauen, wenn ich in der Kufsteinerin bin“, ruft sie fröhlich lachend und verschwindet um die Ecke.  

 

Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY

Text: Adriane Gamper

erschienen in: kufsteinerin - das Magazin 

 

 

 

 

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Moderatorin Adriane Gamper, Foto VANMEY PHOTOGRAPHIE
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHIE

 

 

 

 

 


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