Ick bin ne Diva

Der Hut hat ein sattes Rot. Sie hat ihn leicht in die Stirn gezogen. Als sie das Café betritt, ist das mehr ein Erscheinen als ein simples Hereinkommen. Das Cape schwingt im Rhythmus ihrer Schritte. Der Hauch einer Diva umweht Varina Weinert. Sie lacht auf die Frage, ob sie sich denn als Diva sehe. „Optisch falle ich schon gerne auf. Wer mich nur flüchtig kennt oder auf der Bühne sieht, der könnte schon den Eindruck erlangen, dass ich eine Diva bin, dabei bin ich ganz umgänglich. Wobei ich ehrlich gesagt ein Fan von Diven wie Marlene Dietrich bin, weil sie Kraft ausstrahlen.“ Starke Frauen in intensiven Geschichten sind es auch, die sie am liebsten auf der Bühne verkörpert. Auch, wenn sie daran schon fast zerbrochen ist.

 

Entdeckt

Varina sitzt neben ihren Eltern im Publikum. Sie ist gerade einmal sechs Jahre alt. Eigentlich sollten alle Augen auf ihre Schwester und deren Auftritt im Rahmen der Musikschule gerichtet sein, doch ein Musiklehrer hat nur Augen für Varina. Das kleine Mädchen singt mit, gibt sich, als stünde sie auf der Bühne. Der Musiklehrer spricht die Eltern an, überzeugt sie, Varina zum Gesangsunterricht zu schicken. Der Beginn ihres Bühnenlebens. Varina bekommt klassischen Gesangsunterricht. Und da sie keine Bühnenangst hat, singt sie schon ein Jahr später vor Publikum. Singen wird ihre große Leidenschaft, bis zu diesem einen wunderschönen Tag.

 

Schicksalhafter Urlaub

Zehn Jahre später. Varina ist siebzehn und urlaubt mit ihrem Freund in der Nähe von Erwald. Und es passiert, was die beiden nie vermutet hätten, ihr Urlaub wird zu ihrem Schicksal. Sie verlieben sich in die Gegend. Ihr jugendlicher Leichtsinn, wie sie es nennt, verführt sie noch im Urlaub zu einem folgenschweren Entschluss. Zurück in Berlin stellt Varina ihre Eltern vor vollendete Tatsachen und übersiedelt mit ihrem Freund nach Tirol. Aurach, Westendorf, Kirchdorf sind ihre Stationen, um dann, vor fünfzehn Jahren, in Kufstein zu stranden. Ihr Weg von Berlin nach Tirol ist dabei genauso unerwartet und von ihrer impulsiven, frechen Art bestimmt wie Jahre später ihr Weg zum Theater.

 

Jungfräulich bis zur Festung

Die Sonne scheint. Strahlend blauer Himmel. Varina ist etwas angespannt. Sie weiß nicht, was sie erwartet. Immerhin ist es ihr erstes Mal. Und das mit dreißig. Kurz zuvor hatte sie ihre Arbeitskollegin angerufen. Sie hätte eine Theaterkarte übrig. Varina ist eigentlich ganz und gar nicht begeistert. Sie und ins Theater gehen. Das ist ihr noch nie in den Sinn gekommen. Wieso sie mitgeht, weiß sie bis heute noch nicht. Lumpaziavagabundus steht am Programm. Ohne irgendwelche Erwartungen sitzt Varina auf ihrem Platz und dann ist es wie damals als sie als sechsjähriges Mädchen im Publikum saß und ihrer Schwester zuhörte. Die Berlinerin ist fasziniert. Weiß von einer Sekunde auf die andere, dass das ihr Leben ist. Wieder zu Hause schreibt sie eine E-Mail. „Ich habe der Obfrau geschrieben, dass mir das Stück sehr gut gefallen hat, mit einer einzigen Ausnahme: dass ich nicht auf der Bühne war.“ Ihre freche Art stößt auf Resonanz und einen Anruf später ist Varina Mitglied des Stadttheater Kufstein. Ihr großer Wunsch erfüllt sich und wird zum Prüfstein für ihre Ehe.

 

Lösung Dreigroschenoper

„Wir hatten bühnentechnische Schwierigkeiten, das war für mich die Rettung.“ So fasst Varina kurz die Lösung ihrer familiären Probleme zusammen. Bald nach ihrem Beitritt zum Stadttheater sollte sie eine größere Rolle spielen. Zu ihrer Freude und zum Leidwesen ihrer Familie. „Das Proben nimmt viel Zeit in Anspruch. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem sich mein Mann und unsere drei Kinder beschwerten.“ Es kommt zum Streit. Für Varina eine harte Zeit, da es bei ihnen bis dahin noch nie lautstarke Diskussionen gab. Varina hat ein schlechtes Gewissen, wenn sie zu den Proben geht, obwohl sie nichts lieber tut. Und dann kam dieses Problem mit der Bühne. „Ich habe zuerst überlegt, ob ich ihn wirklich fragen soll, da mein Mann ja gar nicht gut auf das Theater zu sprechen war.“ Doch die Not überwiegt und Varina bittet ihren Mann, der ein geschickter Handwerker ist, um Hilfe. Und er kam, reparierte und blieb. Varina grinst beim Erzählen über das ganze Gesicht. „Das war mein bester Schachzug. Auch wenn er ungewollt passierte.“ Seither ist ihr Mann beim Bühnenbau eine fixe Größe und hat dazu die Liebe zur Bühne entdeckt. Für Varina wird genau das kurz darauf zu ihrer Rettung.  

 

Little Italy

„Nee“ kommt es als Antwort auf die Frage, ob es denn schwierig war, sich als Berlinerin in Tirol einzuleben. Auch, wenn Varina inzwischen seit dreiundzwanzig Jahren in Tirol lebt, ihre Berliner Wurzeln kann sie sprachlich nicht verleugnen. „Aber ditt will ick ooch jarnich“. Ansonsten hat die Wahlkufsteinerin so einiges von ihrer neuen Heimat angenommen. Wie etwa die Leidenschaft Feste zu feiern und dann ist da natürlich ihre Liebe zur Festungsstadt. „Im Sommer ist Kufstein für mich little Italy. Das Flanieren entlang der Innpromenade erinnert mich immer an Italien.“ Auch, dass sie immer wieder bekannte Menschen trifft bei Veranstaltungen oder auf der Strasse, macht für sie den Reiz an Kufstein aus. „Das beschert mir ein ´Zuhause-Gefühl´ und das brauche ich.“ Wie Kufstein gibt ihr auch die Bühne ein Gefühl des Zuhause-Seins, bis zu dem Moment, in dem der letzte Vorhang fällt. Ein Moment, der ihr vor fünf Jahren zum Verhängnis wird.

 

 

Lieblingsrolle als Untergang

Es ist eindeutig ihre bisherige Lieblingsrolle, auch, wenn sie fast daran zerbrochen ist. Die Roxane in „Cyrano de Bergerac“. Ihre erste richtig große Rolle. Roxane ist ein junges Mädchen, unbeschwert und wild. Im zweiten Akt wird aus dem jungen Mädchen eine ältere, traurige Frau, die die Liebe ihres Lebens verloren hat. Varina schaut nachdenklich. „Ich konnte das Ende nicht finden.“ Während sie davon erzählt, ist offensichtlich, dass sie diese Rolle und ihre Reaktion darauf auch heute noch beschäftigen. Als damals vor fünf Jahren ihr letzter Auftritt als Roxane vorbei ist, schafft sie es nicht, in die Normalität überzugehen. Monatelang fließen bei ihr die Tränen. Zu sehr hat sie sich in die Rolle eingelebt. „Wenn ich auf der Bühne stehe, gehe voll in meiner Rolle auf. Ich bin diese Person.“ Doch damals als Roxane geht es weiter. Sie kann die Figur nicht abstreifen. Eine bislang nicht gekannte Traurigkeit bestimmt ihren Alltag. Die Gefühlswelt der Roxane hat sie gefangen genommen. Endlose Gespräche mit ihrem Mann helfen ihr. Als ihr dann noch eine neue Rolle angeboten wird, hat sie die Gegenwart wieder. Und sie bemerkt, dass es auch diese Leere nach der letzten Vorstellung war, die sie so traurig machte. In ihre Figuren lebt sich Varina immer noch ein. „Doch so schlimm wie damals war es nie wieder. Aber wer weiß, vielleicht muss erst wieder die richtige Rolle kommen.“ Ihre Augen strahlen und ihre Wangen färben sich aufgeregt rot, als sie gesteht, dass es da schon eine Figur gibt, die sie unbedingt spielen möchte und in die sie sich sicher so richtig einleben könnte.

 

Captain Jack Sparrow

„Ich weiß gar nicht, wieso es unbedingt diese Rolle sein muss. Aber seit drei Monaten lässt mich dieser Gedanke nicht los.“ Und zugegeben, so wie Varina hier im Café sitzt, mit ihren braunen Schnürstiefeln, der engen beigen Hose und der Bluse mit den Rüschen am Kragen; Varina würde schon rein optisch eine erstklassige Piratenbraut abgeben. „Ja das wäre meine Wunschrolle. Ich sehe mich schon als Piratenbraut auf der Bühne umgeben von starken Männern. ´Fluch der Karibik´ als Theaterstück. Die Rolle der Keira Knightley, das wäre mein Traum“, meint sie lachend. Und mit einem Augenzwinkern fügt sie hinzu, dass eine Piratenbraut zwar derb ist, aber doch auch ein klein wenig eine Diva sein kann.

  Foto: VANMEY PHOTOGRAPHY

Text: Adriane Gamper

erschienen in: kufsteinerin - das Magazin 

 

 

 

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Moderatorin Adriane Gamper, Foto VANMEY PHOTOGRAPHIE
Foto: VANMEY PHOTOGRAPHIE

 

 

 

 

 


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